|
"Also noch einmal",
ermahnte uns petra eindringlich. "Und du, Ernst, pass bitte
gut auf!". Damit war ich gemeint.
Wir saßen im halbkreis
vor Petra, welche auf einer kleinen, schwarzen tafel das riff
aufskizziert hatte, welches wir in wenigen minuten stürmen
wollten. Für mich war es der erste tauchgang nach genesung
von meiner angina-infektion. Ich mußte jetzt unbedingt
die verlorenen zwei tauchtage wieder - fotografisch - einholen.
Aber mehr als zwei filme je tauchgang war nicht möglich.
Für einen einstündigen tauchgang bedeutet dies etwa
jede minute ein bild. Im roten meer schaffte ich das locker.
Doch hier auf den malediven waren die begleitumstände beim
tauchen etwas anders. Es gab hier etwas besonderes. Es gab ganz
besonders viele wasserströmungen.
"Ihr müßt unbedingt ganz nahe bei mir bleiben."
mahnte Petra mit einem besonders durchdringenden blick zu mir. |
Das phänomen der meeresströmungen
bei den malediven ist leicht verständlich. Jedes offene
meer ist von strömungen durchzogen, welche hauptsächlich
durch die erdrotation hervorgerufen werden. Im bereich der malediveninseln
gibt es im indischen ozean ebenfalls strömungen, wobei das
meerwasser zwischen den inseln mit erhöhter geschwindigkeit
durchfließt. Diese geschwindeigkeit kann mitunter über
ein meter je sekunde betragen.
"Laßt euch ruhig
mit der strömung treiben, bis ihr die riffkante erreicht."sagte
Petra, "Nach dieser kante müßt ihr aber sofort
hinuntertauchen, sonst treibt euch die strömung in das offene
meer!". |
|
Strömungstauchen war
mir nicht neu. Es ist vergleichbar mit den transport auf den
hunderten von meter langen laufbändern in den großen
flughafengebäuden, wobei das förderband die gestreßten
und in letzter minute eintreffenden fluggäste an hunderten
reklametafeln vorbeiziehen. Das konservative tauchpublikum vergleicht
strömungstauchen mit einer bummelzugfahrt im österreichischen
salzkammergut, wobei blumenpflücken während der fahrt
erlaubt ist. Auch im sonst ruhigen roten meer erlebte ich strömungstauchgänge.
Dabei machte ich die fotos sozusagen im vorbeitauchen, welche
allerdings fast zur gänze im papierkorb gelandet sind.
Als unser boot den tauchplatz
erreicht hatte, sprang Petra mit der A-B-C ausrüstung, also
tauchbrille, schnorchel und flossen, in das wasser und beobachtete
die meeresströmung. Vom boot aus war diese nicht zu bemerken,
da es mit der strömung mitschwamm. Inzwischen hatten wir
unsere tauchausrüstung angelegt und warteten gespannt auf
Petras startsignal.
"Die strömung ist
hier sehr stark!" sagte sie. "Ihr müßt nach
dem springen sofort abtauchen. Und bleibt schön brav bei
mir." Nachdem Petra ihre tauchausrüstung angelegt hatte,
setzten wir uns beidseitig des bootes an die bordkante und warteten
auf das kommando.
"Alles klar?"rief Petra, "schönen tauchgang!"
Das war ihr kommando. Frauen sind eben in der rhetorik fantasievoller,
als männer.
Ich sprang mit meiner kamera
völlig unbelastet der noch kommenden dinge in das wasser.
Dummerweise war in der tarierweste zuviel luft, welche mich sofort
wieder an die wasseroberfläche trieb. Wo war denn dieser
blöde ventilschlauch? Normalerweise wird beim direkten abtauchen
mit einer hand maske und lungenautomat festgehalten, während
die zweite hand den ventilschlauch hält, um damit sofort
den abtauchvorgang steuern zu können. Ich hatte allerdings
meine kamera in einer hand, und die maske mußte man beim
springen unbedingt festhalten. Endlich konnte ich den schlauch
zwischen preßluftflasche und meinen rücken hervorziehen.
Jetzt aber nichts wie runter! |
Meine freunde waren inzwischen
bereits zwanzig meter unter mir und hatten den riffboden fast
erreicht. Gott sei dank funktionierte der druckausgleich in meinen
kopf ohne probleme. Ich sank sehr schnell - fast zu schnell nach
der einjährigen tauchpause. Jetzt mußte ich aufpassen.
Vorsichtig ließ ich luft in die tarierweste, um meinen
fall zu bremsen. Gleichzeitig mußte ich meine freunde ansteuern,
welche wie ein fischschwarm mit der strömung über dem
meeresboden dahingleiteten. In bodennähe ist die strömung
meist etwas schwächer, als im offenen wasser. So trieben
wir mit etwa einen halben meter in der sekunde dahin.
Ich mußte mich zuerst
von den strapazen der letzten minute erholen. Außerdem
war durch das schnelle abtauchen und den dadurch erfolgten temperaturwechsel
meine tauchmaske beschlagen. Die maske einhändig ausspülen
konnte ich inzwischen schon recht gut.
Jetzt hatte ich endlich zeit
und ruhe gefunden und betrachtete den meeresboden. Es gab hier
viele riesenmuscheln, welche auf unserer unterwasserfahrt wie
suppentöpfe in die warme und nährstoffreiche strömung
emporragten. Bei gruppentauchgängen versuche ich möglichst
in der vordersten reihe zu sein, um für eventuelle fotografische
zwischenstops zeit zu gewinnen. Petra tauchte direkt neben mir,
als ob sie meine absicht erkannte. Da steuerte eine wunderschöne,
große, orangefarbene und offene riesenmuschel direkt auf
mich zu, daß heißt natürlich umgekehrt, ich
wurde zu dieser hingetrieben. Fotoherz, was willst du mehr! Ich
mußte unbedingt ein foto machen und ließ mich an
der muschel vorbeitreiben. Unmittelbar danach drehte ich mich
blitzartig um und mußte mit den flossen gegen die strömung
arbeiten, um ein ordentliches foto machen zu können. Gedacht,
getan! Nach zwanzig sekunden war das bild endlich im kasten.
Na ja, so einfach und schnell, wie es die kamerahersteller in
der werbung versprechen, geht das nun auch wieder nicht. Ich
mußte zuerst die belichtung auf die hintergrundhelligkeit
abstimmen, die beiden blitzgeräte zurechtdrehen und einen
ordentlichen bildausschnitt finden. |
|
Meine freunde waren während
dieser zeit etwa fünfzehn meter weitergetaucht, und ich
mußte mit erneuten Flossenschlägen diese wegstrecke
einholen. Petra sah mich kopfschüttelnd an. Offensichtlich
hatte ich sie überlistet.
Inzwischen war auch die strömung
stärker geworden. Mit über einen meter in der sekunde
trieben wir knapp über den korallenbedeckten boden dahin.
In der ferne wurden zwei mächtige korallenhügel sichtbar,
welche bis knapp an die wasseroberfläche emporgewachsen
waren. Zwischen den beiden hügeln hatte das dahinterliegende
wasser eine tiefblaue farbe. Es war wie in einem science fiction
film, in welchem ein galaktisches schwarzes loch alles umhertreibende
ansaugte. Unter mir bogen sich die weichkorallen in der immer
stärker werdenden strömung. Auch mein herzschlag wurde
durch diese neuen und abenteuerlichen eindrücke immer stärker.
Fotografieren im gegenstrom war hier unmöglich.
Wie meteoriten im weltall
trieben wir auf dieses schwarze loch zu, allen voran die heldenmutige
Petra. Es war auch schon die riffkante zu erkennen, nach welcher
wir sofort abtauchen sollten. Ich blickte auf den tiefenmesser.
Er zeigte sechzehn meter tiefe an. Rasend schnell kamen die beiden
riffhügel näher, dazwischen der zehn meter breite abgrund
und danach nichts! Wir rasten mit etwa zwei meter in der sekunde
dem abgrund entgegen. Jetzt kam die kante. Petra hechtete mit
schnellen flossenschlägen senkrecht nach unten. Ich mußte
ihre eleganz bei diesem manöver bewundern und vergaß
dabei fast auf meine eigenes abtauchen. Wie ein flugzeuggeschwader
im sturzflug stürzten wir fünf meter tiefer hinab.
Augenblicklich war die strömung weg.
Dieser abenteuerliche 'jet-flug'
durch das 'schwarze loch' war für uns alle ein atemberaubendes
erlebnis. Man konnte dies an den nun stark nach oben strömenden
luftblasen erkennen. Mehr als eine minute dauerte es, bis sich
auch mein puls wieder einigermaßen beruhigte. Petra überprüfte
bei allen tauchern den noch vorhandenen luftvorrat, welcher natürlich
bei mir am geringsten war.
Wir hingen fünfundzwanzig
meter tief im wasser neben der senkrecht ins bodenlose abfallenden
riffwand. Jeder von uns war bemüht, das gleichgewicht durch
richtiges austarieren zu finden. Es war, als hingen wir an langen
gummiseilen, an welchen die taucher im wasser mit jeden ein-
und ausatmen etwa einen halben meter senkrecht auf- und abpendelten.
Diese senkrechte riffwand
lag an der sonnenabgewandten seite und wirkte in den ersten minuten
wie eine kahle, schwarze wand. Wegen der ungünstigen lage
war der korallenbewuchs nicht so spektakulär, wie sonst
an den von der sonne beleuchteten stellen. Wie so oft lag aber
auch hier das interessante im detail. Beim entlangtauchen an
dieser kahlen wand bemerkte ich unzählige korallen, welche
an dieser wie blätterlose sträucher im winter hingen.
Es waren die eher seltenen 'schwarzen korallen' deren bizarren
verästelung für viele kleine fische ein gutes versteck
bildeten. Erst beim genauen betrachten konnte man diese kaum
zentimetergroßen fische entdecken, welche fast bewegungslos
zwischen den feinen korallenästen wie in einem spinnennetz
hingen. Das ganze sah aus, wie ein nadelloser weihnachtsbaum
mit schmuck, ende jänner. |
Gemächlich setzten wir
den wiederaufstieg entlang der senkrechten riffwand fort. Da
ich noch nicht wußte, wie lange der tauchgang noch dauerte,
und da mein luftvorrat erfahrungsgemäß schneller zu
ende geht, als bei den anderen tauchfreunden, tauchte ich einige
meter höher. Gerd, mein tauchpartner blieb unten, aber in
sichtkontakt. Eine leichte strömung entlang der riffwand
trieb mich ohne kraftanstrengung vorwärts, wobei diese strömung
hier oben etwas größer war, als fünf meter tiefer.
Ich bemerkte dies erst, als plötzlich meine tauchfreunde
verschwunden waren. Nein, nicht schon wieder, dachte ich und
überlegte, ob ich zurücktauchen oder warten sollte.
Ich entschied mich für die erste variante, da Petra von
uns eine konsequente disziplin verlangte.
Nach etwa fünfzehn meter
tauchstrecke - natürlich gegen die strömung - sah ich
wieder aufsteigende luftblasen, aber keine taucher. Ein korallenfelsvorsprung
behinderte die sicht nach unten. Also ließ ich mich wieder
absinken und bemerkte gerade noch einen davoneilenden, kleinen
weißspitzenhai. Offensichtlich hatten meine tauchfreunde
diesen schlafend in einer der vielen kleinen korallenfelsnischen
aufgestöbert, und ich war wieder nicht live dabei.
Durch diese überraschende
hai-begegnung war die tauchgruppe etwas in unordnung geraten.
Jeder befand sich irgendwo. Gerd, mein tauchpartner, tauchte
gemächlich aus der felsnische hoch, und ich, sein tauchpartner,
aus der entgegengesetzten seite zu ihm hinab. Dazwischen war
Petra, unsere gestrenge aufseherin. Jens, der weltenbummler und
Sarina, ebenfalls single, kamen aus verschiedenen richtungen
vom offenen meer zurück. Offensichtlich versuchten beide
den hai ein stückchen zu begleiten. Daniel, unser jüngstes
tauchmitglied, kam langsam aus einem korallenversteck hervor.
Nur Stefanie und Norbert, die beiden turteltäubchen, waren
händchenhaltend in der vorgeschriebenen zweierformation
geblieben. Petra blickte sehr unzufrieden umher. Ich bemerkte
dies an den leichten falten an ihrer stirn. Als sie meinen druckluftvorrat
kontrollierte, wurde ihre stirn noch ausdrucksvoller. Der Zeiger
meines druckluftmanometers befand sich wieder einmal im roten
feld. Gerd hatte noch neunzig bar. Immerhin war er ein trainierter
sportler, nichtraucher und hatte vor allem keine kamera mit sich.
Nachdem Petra die mannschaft
durchgecheckt hatte, gab sie Daniel und mir zu verstehen, daß
wir auftauchen sollten. Ich hatte nichts dagegen, da der film
ebenfalls ausgeknipst war. Also tauchten Daniel und ich aus fünfzehn
meter tiefe nach oben. Besorgt über meinen luftvorrat war
ich dabei etwas zu schnell. Daniel deutete auf meinen tauchcomputer,
welcher mich hektisch blinkend auf die ignorierte dekopause erinnerte.
Also noch einmal drei meter hinab und warten. Natürlich
hatte Petra mein mißgeschick beobachtet. Aus der ferne
sah ich den mont everest auf ihrer stirn emporwachsen.
Letztendes wurde auch unser
tauchboot unter wasser sichtbar, welches wir ohne weitere zwischenfälle
erreichten. Immerhin waren noch zehn bar druckluft in meiner
flasche. |