der letzte atemzug
 

Jeder besitzer eines autos kennt die tücken seines gefährtes in- und auswendig - manchmal sogar besser als die seiner lebensgefährtin oder ihres -gefährten. Aber das ist ein anderes thema. Man(n) weiß, wie schnell das gas reagiert, meistens weiß man auch, wie gut die bremsen sind und so weiter. Auch ich kenne die tücken meines autos ganz genau. Ich weiß, daß zum beispiel die tankanzeige im letzten viertel überhaupt nicht stimmt. Doch das fördert die ohnehin vorhandene bewegungsschwäche meiner beinmuskulatur beim gang zur nächsten tankstelle.

Umso mehr habe ich eine hemmschwelle zu überwinden, mit einem anderen vehikel zu fahren. Die fortschreitende standartisierung und industriespionage führte jedoch dazu, daß fast alle autos gleich zu fahren sind.

So ist es auch bei vielen anderen maschinen und geräten - auch bei der tauchausrüstung. Gerade bei den preßlufttauchgeräten gibt es außer dem preis und natürlich auch der qualität zumindest in der handhabung kaum unterschiede. Und das ist gut so.

Tagelang überlegte ich vor dieser reise, welche Ausrüstungsgegenstände ich mitnehmen sollte und welche wegen des gewichtslimits bei flugreisen daheim bleiben mußten. Da diese reise eigentlich kein urlaub war, mußte ich natürlich anderen dingen priorität geben. Und papier ist eben schwer. Einige -zig male stellte ich den wiederholt umgepackten koffer auf die waage mit dem Ergebnis, daß er statt fünfundvierzig kilo nur noch vierzig kilo wog.

Da wurde es mir zu bunt! Ich beschloß also, überhaupt nichts an tauchausrüstung mitzunehmen, außer der fotoausrüstung mit dem nötigen zubehör.

Das allein waren schon zwanzig kilo. Jede tauchbasis verleiht doch ausrüstung! Also warum sollte ich dieses zeug um die halbe welt mitschleppen?

Und so kam es dann auch. Die tauchbasis von phi-phi island war nicht gerade reichhaltig sortimentiert, aber die geräte schienen alle in ordnung zu sein. Zumindest versicherte es mir der freundliche thailändische basisleiter. Außerdem reparierte er die ausrüstung auch selbst, erklärte er mit stolz. Ein blick in den offenen nebenraum bestätigte diese tatsache.

Noch nie sah ich ein so reichhaltiges ersatzteillager an ventilen, dichtungsringen, zerlegten instrumenten und dergleichen. Doch als techniker stört mich dieser umstand wenig. In dieser branche ist doch ersatzteilhaltung und instandsetzung tägliches brot.

Meine konfektionsgröße war damals achtundvierzig bis fünfzig. Angesichts der auswahl an tauchanzügen gab ich mich dennoch mit dem sechsundvierziger neoprenanzug zufrieden. Nur bei den beinen war es verdammt eng. Na ja, andere länder, andere größen. Zumindest war der lungenautomat in ordnung. Er hatte sogar weniger saugwiderstand als mein eigener.

Den eindruck der ersten tauchgänge kennen die leser vom vorherigen kapitel. Dabei war mir die fremde ausrüstung wohl bewußt. Ich achtete peinlich genau auf die anzeige von luftdruck und tauchtiefe. Der vergleich mit meiner eigenen taucheruhr stimmte, und alles schien in bester ordnung.

 

 

Doch ich merkte, daß bei der ständigen suche nach geeigneten fotomotiven mein luftverbrauch wesentlich höher war, als jener meiner tauchfreunde. Offensichtlich führte diese tatsache an meine weit mehr bewegte tauchweise zurück. Oft mußte ich mehrmals zu objekten hintauchen, da mich manchmal die vorhandene wasserströmung abtrieb, bevor ich das foto machen konnte. Das kostete mehr energie und damit mehr luft.

Wir umrundeten gerade einen senkrecht im meer stehenden felsen mit herrlichem korallenbewuchs und unzähligen fischen. Da erblickten wir eine kleine gruppe von feuerfischen, welche durch ihre anmutige schwimmweise jeden taucher begeistern. Auch meine kamera war in diese fotofreundlichen fische verliebt. Nur schwer konnten wir uns von diesen graziösen erscheinungen trennen.

Ein blick auf die druckanzeige ließ mich erschaudern. Mein luftvorrat war bereits auf achtzig bar, also weniger als die hälfte geschrumpft.

Das bedeutete für mich nicht mehr genug vorrat, um noch vor erreichen des reservedruckes von fünfzig bar unser boot zu erreichen. Sofort machte ich den tauchführer auf diesen umstand aufmerksam. Doch für ihn war dies kein grund zur besorgnis.

Wir tauchten in etwa fünfzehn meter tiefe weiter. Es begegneten uns noch viele schöne objekte und neugierige fische. Aber meine lust auf fotos hielt sich in grenzen. Besorgt beobachtete ich meinen luftverbrauch. Nur noch sechzig bar! Vielleicht rauche ich wirklich zuviel, dachte ich und beschloß in dieser not, meinen zigarettenkonsum konsequent einzuschränken. Nochmals zeigte ich dem tauchführer meine druckanzeige. Außerdem deutete ich an, auf zehn meter tiefe hochzutauchen. O.k. war seine antwort. Also tauchte ich fünf meter hoch. Wegen des trüben wassers hatte ich aber probleme den meeresgrund und auch meine tauchenden freunde zu erkennen. Doch die aufsteigenden luftblasen zeigten den weg an.

 

 

Gemächlich tauchten meine freunde am boden des so herrlich bewachsenen meeresboden dahin. Gemächlich wanderte auch der zeiger meiner druckanzeige in das rote feld. Unwillkürlich mußte ich an die tankanzeige meines autos denken, welche ja auch im letzten viertel nicht gerade zuverlässig ist.

Ich wußte nicht mehr, wieviel minuten ich in dieser grauenvollen meersuppe hinter den luftblasen meiner freunde nachtauchte und überlegte, ob es sinnvoll wäre aufzutauchen. Zumindest ein paar meter höher. In fünf metern wassertiefe konnte ich bereits die wasseroberfläche erkennen. Diese war sehr zerfurcht, was auf wellengang hin deutete. Zum teufel mit denen da unten, dachte ich. Haben die vielleicht eine zweite luftflasche mitgenommen? Jeden augenblick erwartete ich den aufstieg meiner freunde, doch sie blieben unten. Auch unser boot konnte ich unter wasser noch nicht erkennen.

Die anzeigenadel zitterte, oder war es meine hand, als ich merkte, daß mein luftvorrat zu ende ging. Jetzt aber schleunigst nach oben. Ich wollte trotzdem nichts überstürzen und bedachte der vorgeschriebenen auftauchgeschwindigkeit von höchstens zehn meter in der minute. Anscheinend hatte ich schon beklemmungen, denn plötzlich fiel mir das atmen so schwer. Nein, es wurde von zug zu zug tatsächlich schwerer, und ich begann die letzten liter luft förmlich aus der flasche zu saugen.

Jetzt war eile angebracht. Zu meinem entsetzen war auch keine luft mehr in der flasche, um die rettungsweste aufzublasen. Mit dem buchstäblich letzten atemzug erreichte ich die wasseroberfläche. Ich spuckte das mundstück hinaus und schnappte förmlich nach luft. Ich war fix und fertig! Der tauchanzug aus neopren verlieh mir gerade soviel auftrieb, um nicht wieder unterzugehen. Wellen schlugen mir ins gesicht, als wollten sie mich für diesen leichtsinn bestrafen. Ja, es war wirklich leichtsinn von mir gewesen, so lange unter wasser zu bleiben. Eigentlich hätte ich bereits früher auftauchen müssen, um mit druckluft die rettungsweste aufzublasen. Das dies auch mit einigen atemzügen aus der eigenen lunge möglich ist, fiel mir in meiner panik nicht ein.

Ich blickte umher. In der umgebung ankerten einige tauchboote. Abstand etwa dreißig meter. Natürlich wußte ich nicht, welches boot das unsere war. Und keiner der bootsführer machte den anschein, meine mißliche lage zu bemerken. Endlich war an den aufsteigenden luftblasen die ankunft meiner lieben freunde zu erkennen. Ich kochte vor wut! Aber dann besann ich mich meiner fehler und schwieg.

Immerhin war die ausrüstung in ordnung, insbesondere die druckanzeige. Neidisch stellte ich fest, daß diese genauer anzeigte, als die tankuhr meines autos.

 

 © 2000 e.pokorny