ausflug in das paradies (november 1993)
 

Nein, das darf doch nicht wahr sein! Dies war mein erster gedanke, als ich im november 1993 das erste mal in die fluten des indischen ozeans eintauchte. Ein zufall ermöglichte es, daß ich einige zeit in thailand beruflich zu tun hatte und danach vier tage auf die herrliche insel phi-phi fahren konnte. Diese kleine inselgruppe befindet sich zwischen den bekannten badeorten phuket und krabi und ist ungefähr das, was ich mir als paradies schon immer vorgestellt habe.

Nach meinen beiden tauchurlauben am roten meer hatte ich jedesmal das gefühl, daß es kaum schönere tauchgebiete geben kann. Unter wasser mag das vielleicht stimmen. Jedoch über wasser bietet die ägyptische festlandküste - außer der wüste selbst - keine landschaftlichen höhepunkte.

So träumte ich seit dieser zeit nicht nur von herrlichen unterwasserlandschaften, sondern auch von palmengesäumten meeresstränden irgendwo in der unendlichen weite der weltmeere.

Dieser meiner sehnsüchtigsten wünsche ging nun schneller als erwartet in erfüllung. Auf dieser insel gibt es alles, was ein streßgeplagter und zivilisationsgeschädigter mensch braucht. Es gibt keine straßen, keine autos, keine fernseher, keine atomkraftwerke, keine supermärkte, ja nicht einmal einen landungssteg für die boote, welche die urlauber vom fährschiff auf die insel bringen. Diese kleinen, schmalen boote mit fürchterlich lärmenden und stinkenden motoren sind das einzige transportmittel, mit denen alle notwendigen fahrten unternommen werden.

Die bewohnte hauptinsel phi-phi don besteht aus zwei langgezogenen hintereinander liegenden gebirgszügen, welche durch eine schmale sandbrücke miteinander verbunden sind. Das reizvolle an dieser insel sind die vielen kleinen sandbuchten, an denen die verstreuten ansiedlungen unmittelbar an den stränden liegen. Mit den motorisierten booten ist die insel in einer knappen stunde zu umrunden.

Viel platz war nicht auf diesen booten, was sich besonders bei den tauchausfahrten etwas unangenehm bemerkbar machte. Diese tauchfahrten konnten daher nur bei ruhiger see stattfinden, und ich erwartete spannungsgeladen meinen ersten tauchgang im indischen ozean.

Und nun das! So ein mist, dachte ich und war sozusagen bitter enttäuscht. Was war los? Hatte ich vergessen, einen film in die kamera einzulegen? Drang wasser in die blitzgeräte? Nichts von dem. Es war das wasser selbst - das unglaublich wachstumfördernde, achtundzwanzig grad warme, planktonreiche wasser - und damit sichtweite von nur sechs bis acht metern. Schnell überlegte ich, wie ich die situation dennoch retten konnte.

Jedes tauchgebiet hat seine besonderen reize. Hier waren es die unzähligen haarsterne, welche unübersehbar an den korallen hingen. Wie putzige federbüsche im fasching schwangen sie ihre fangarme in diesem nährstoffreichen wasser. Aufgrund dieser idealen lebensbedingungen erreichten hier diese tiere eine beachtliche größe von über dreißig zentimetern.

 

 

Aus der nähe betrachtet gleichen die haarsterne nimmersatt werdenden freßmaschinen. Ruhelos leiten sie das wasser mit ihren fangarmen zur mundöffnung. Mit etwas glück kann man auch am tage die wanderung von haarsternen beobachten. Diese wechseln ihre plätze, wenn sich die wasserströmung ändert und nicht mehr genug nährstoffe enthält. Dann löst der haarstern seine umklammerung an der koralle und schwebt anmutig wie eine medusa durch das wasser, angetrieben von den hin- und her schwingenden fangarmen. Teilweise lassen sich diese tiere auch von der strömung treiben, bis sie einen neuen futterplatz gefunden haben.

Die unterwasserlandschaft selbst war wie in einem märchen. Durch den vulkanischen ursprung dieser inselgruppe gab es auch unter wasser viele steile überhänge, felsengebirge mit engen schluchten und höhlen, so richtig zum versteckenspielen. Dieses spiel hatte ich hier einmal selbst unfreiwillig mitgemacht.

Wir tauchten zu viert in den herrlichen korallenschluchten der pida- inseln. Eigentlich waren es gar keine inseln, sondern im meer stehende, senkrechte riesige felsblöcke, etwa achtzig meter hoch. Wir planten den tauchgang derart, daß nach dem abtauchen unser versorgungsboot zu der vorausgeplanten einstiegstelle weiterfuhr.

Die sicht war jahreszeitlich bedingt nicht sehr gut, doch die vorhandene unterwasserlandschaft entschädigte dieses manko vollauf.

Ich hatte mich schon damit abgefunden, daß "landschaftsaufnahmen" unter diesen bedingungen nicht sinnvoll waren. Also beschränkte ich mich auf das fotografieren im nahbereich. Doch dieses erfordert zeit, präzision und auch geduld. Da es in diesem gebiet einige unterwasserströmungen gab, mußte ich bei vielen nahaufnahmen das handtuch werfen.

Wir tauchten in etwa zwanzig meter tiefe durch eine nur zwei meter breite felsenschlucht, deren schattige wände über und über mit aufgeblühten weichkorallen des gesamten farbenspektrums bedeckt waren. Ich fühlte mich wie in einem geisterwald, wo tausende von gespenstischen fangarmen nach mir greifen wollten. Nach etwa fünfzehn metern erweiterte sich diese schlucht zu einem kreisförmigen kessel. Auf der anderen seite setzte sich die schlucht fort. Auch dieser kessel war ausgefüllt mit weichkorallen und gorgonien. Momentan bemerkte ich keine strömung. Mich wunderte das, denn gerade diese art von fauna benötigt ständig neuen zufluß von nährstoffen. Mein schon etwas angeschlagenes fotoherz hüpfte vor freude hin und her. Ich fühlte mich hier wie in einem riesigen supermarkt, wo das überangebot an waren eine auswahlentscheidung fast unmöglich macht.

Auch die anderen tauchfreunde betrachteten begeistert diese fauna, und das entdecken und erforschen ließ die zeit wie im flug vergehen. Nach viel zu kurzer zeit gab unser tauchführer das zeichen zum weitertauchen. Da erblickte ich auf einer felsnische einen weihnachtsbaum.

 

 

Die leser mögen vielleicht glauben, daß ich schon unter halluzinationen oder tiefenrausch litt. Natürlich war dieser "baum" eine koralle, aber derart weiß gefärbt, daß sie einer kleinen verschneiten tanne ähnlich sah. Ich mußte dieses foto noch unbedingt machen und konzentrierte mich derart intensiv auf richtige kameraeinstellung, daß mir dabei heiß wurde. Endlich hatte ich das motiv im kasten und konnte weitertauchen.

Doch plötzlich war ich alleine. Von meinen tauchfreunden war weit und breit nichts zu sehen. In diesem runden kessel hatte ich außerdem die orientierung verloren und wußte beim besten willen nicht mehr, in welche richtung meine freunde weitergetaucht waren. Nicht einmal aufsteigende luftblasen verrieten sie in dieser trüben suppe. Ich kontrollierte meinen noch vorhandenen luftvorrat, welcher mich hoffen ließ, die welt über wasser noch lebend zu erreichen.

Was sollte ich in dieser fatalen situation nun machen? Vorerst keine panik! Trotzdem fühlte ich, daß mir etwas kälter geworden war. Ich erinnerte mich an eine ähnliche situation im roten meer, wo meine tauchfreunde und ich ständig um einen korallenfelsen im kreis getaucht waren. Somit gestaltete sich die suche nach mir, zu einem ringelspiel. Also verweilte ich in diesem hexenkessel und dachte an die mahnenden worte, welche ich früher meinen kindern immer wieder eingetrichtert hatte, wenn wir in fremder umgebung waren: Nicht davonlaufen, sondern warten!

Nun, ich bin an sich ein sehr geduldiger mensch. Doch mein hirn arbeitete fieberhaft und suchte eine lösung. Auftauchen hatte keinen sinn, denn unser boot war inzwischen zu dem vereinbarten einstiegsort weitergefahren. Mittlerweile erinnerte ich mich an die richtung, aus der wir gekommen waren. Aber auch das nützte nichts. Ich wußte ja nicht, in welche richtung meine freunde weitertauchten.

Ich begann nun doch langsam höher zu tauchen, um besser gesehen zu werden. Unablässig blickte ich in beide richtungen. Die schönheit dieses hexenkessels interessierte mich nicht mehr im geringsten. Plötzlich sah ich aus einer richtung einen dunklen fleck auf mich zutauchen. In diesem trüben wasser konnte ich die kontur dieses unbekannten wesens nicht erkennen. Außerdem vermißte ich aufsteigende luftblasen, welche dieses wesen als menschen verraten sollten. Ich überlegte fieberhaft, wie ich mich jetzt verhalten sollte. Endlich stieß dieses unbekannte wesen einen schwall von luftblasen aus. Mir fiel ein kleiner stein von herzen.

Wieder an bord fragte mich der freundliche thailändische tauchführer:
"Have you been afraid?"
Nein, angst hatte ich nicht verspürt. Er schon, war seine antwort.

 

 © 2000 e.pokorny