|
"Hast du etwas gegen
italiener?" fragte ich nach einem nachttauchgang meinen
ägyptischen tauchfreund mohammed, als er mit hochrotem kopf
und zornesfalten auf der stirn wieder an bord war.
"I really like them, but not under water!" war seine
antwort.
Was war passiert?
Also ich selbst habe grundsätzlich
nichts gegen ausländer, da ich ja selbst - zumindest im
ausland - einer bin. Ich habe schon gar nichts gegen italiener.
Ihr temperament und ihre hektik faszinieren mich immer wieder.
Außerdem bin ich beruflich oft im ausland unterwegs. Dabei
muß ich mich den verschiedenen örtlichen und ethnischen
gegebenheiten anpassen. |
Nachttauchgänge sind
ein besonderes erlebnis. Noch mehr als tagsüber fühlt
man sich in einer fremden welt. Nach sonnenuntergang entfaltet
die nachtaktive fauna ihr pulsierendes leben, und im schein einer
mitgeführten lampe leuchten die farben vor pechschwarzem
hintergrund wie in einer geisterbahn.
Meinen ersten nachttauchgang
erlebte ich hier in safaga gemeinsam mit einer gruppe - nein,
es war ein rudel - italiener. Acht frau und mann an der zahl. |
|
Ich habe wirklich nichts gegen
italiener. Es gibt viele völker, welche ihr leben eben temperamentvoll
gestalten. Auch die ägypter zähle ich dazu. Umso mehr
war ich verwundert, daß mein freund mohammed schweigsam
und etwas verwirrt auf der bank des tauchbootes saß. Mohammed
war unser tauchführer. Außer ihm waren noch Gudula
und Graham als tauchbegleiter für unsere sicherheit verantwortlich.
Also drei gruppen zu je vier personen. Eigentlich eine gute einteilung.
Während der ausfahrt
erklärte mohammed den ablauf des bevorstehenden nachttauchganges.
Doch da gab es ein paar kleine probleme. Es begann mit der verständigung.
Mohammed sprach ein gutes englisch, aber es gab bei den italienischen
freunden keinen gleichwertigen gesprächspartner. Also mußte
Mohammed alles mindestens dreimal wiederholen, um einigermaßen
richtig verstanden zu werden. Und dann begann das palaver in
italienischer sprache, welches mir heute noch in den ohren klingt.
Leider bin ich dieser schönen, flüssigen und ausdrucksvollen
sprache nicht mächtig. Aber soviel begriff ich, daß
nun die italienischen freunde Mohammeds erklärungen verschiedenartig
interpretierten. Und das dauerte eine weile.
Nach einer kleinen ewigkeit
wurde es wieder einigermaßen ruhig. Mohammed begann nun
mit der einteilung der tauchgruppen. Zu seinem erstaunen erklärten
die italienischen freunde, daß sie dies bereits selbst
organisiert hätten. Sie hatten beschlossen, alle in einer
gruppe zu bleiben.
Ich bemerkte, wie sich auf
Mohammeds stirne leichte faltenberge bildeten. Nun begriff ich
auch den grund für diese außerordentlich großzügige
gruppenbildung. Es war der kameramann. Vorher fiel mir schon
auf, daß sich alle italienischen freunde ausschließlich
mit diesem mann unterhielten. Offensichtlich wollte diese gruppe
einen unterwasser - nachtfilm drehen. Das ständig hektische
palaver waren dabei die letzten regieanweisungen.
Nach dieser mißglückten
gruppeneinteilung unterhielt sich der bereits leicht genervte
Mohammed mit Gudula und Graham, welche nun eine aufpasserrolle
zugeteilt bekamen. Es wurde jetzt rasch dunkler, und ich begann
mit dem anlegen meiner ausrüstung. Selbstverständlich
waren die italiener schon lange damit fertig und warteten mit
beschlagenen tauchmasken ungeduldig auf den tauchgang. Nur eine
sehr hübsche dame, wahrscheinlich die hauptdarstellerin,
überlegte noch, welche von den drei mitgeführten tauchbrillen
sie wählen sollte und ließ sich vom kameramann beraten. |
Nun war es ganz dunkel geworden.
Rings um unser boot lag die pechschwarze wasseroberfläche.
Das mondlicht spiegelte sich im bügelglatten meer. Kein
lüftchen wehte in dieser stille. Als Mohammed die unterwasser-blinklampe
ins wasser warf, tanzten die wellenringe durch diese spiegelung.
Es war fast romantisch. Auch die italienischen freunde wurden
still. An ihren gesichtszügen konnte ich die ihnen zugeteilten
rollen ablesen.
Endlich gab Mohammed das kommando
zum tauchen. Bei kleinen booten wie diesen geschieht das von
beiden seiten gleichzeitig, damit es nicht kentert. Doch es gab
nur einen kameramann, und jeder wollte bei seinem sprung gefilmt
werden. Ich beobachtete Mohammed, welcher im bedrohlich schwankenden
boot soeben ein stoßgebet zu Allah sandte.
Bei nachttauchgängen
wird eine unterwasserlampe mitgeführt. Diese benötigt
man außer zur beleuchtung auch für die visuelle verständigung
unter wasser. Ein kreis mit der lampe bedeutet: Alles o.k. Bei
gefahr wird diese auf- und abgeschwenkt. Es ist dies in der dunkelheit
praktisch die einzige verständigungsmöglichkeit. Fast
hätte ich vergessen zu erwähnen, daß die italienische
filmmannschaft natürlich keine gewöhnlichen lampen
mitführten. Es waren scheinwerfer, jeder mindestens hundert
watt stark! Als diese nun unter wasser aufgedreht wurden, leuchtete
das meer taghell.
Ich befand mich zu diesem
zeitpunkt noch im boot und betrachtete dieses faszinierende schauspiel.
Als die filmcrew abgetaucht war, wurde es wieder still. Neben
mir standen Gudula und der bootsführer Achmed. Auch sie
hatte dieses schauspiel sehr beeindruckt. Die lichter der unterwasserscheinwerfer
tanzten kreuz und quer durch die erhellten fluten. Nach den tauchregeln
müßte bereits jeder taucher in not geraten sein.
Mir wurde Gudula als tauchbegleiterin
zugeteilt. Nun sprangen auch wir ins wasser und tauchten auf
etwa acht meter ab. Der sandige meeresboden war bereits von der
filmmannschaft derart aufgewühlt, daß ich aufpassen
mußte, um Gudula nicht aus den augen zu verlieren. Es war
mir nur recht, daß Gudula mit mir in die entgegengesetzte
richtung weitertauchte als die filmcrew. Langsam entfernten wir
uns von hollywood, und der horizont um uns wurde nun völlig
schwarz. Ich blickte nach oben. An der wasseroberfläche
leuchtete schwach das mondlicht. Irgendwo blinkte auch die unterwasser-signallampe,
aber ich sah sie nicht mehr. |
|
Ich sah überhaupt nichts
mehr, außer unsere mitgeführten unterwasserlampen.
Ihr lichtstrahl leuchtete etwa sechs meter weit. In diesen augenblicken
fühlte ich mich total hilflos. Da begriff ich auch die schwierigkeit
eines nachttauchganges. Die einzigen orientierungsmittel sind
dabei kompaß und tiefenmesser. Ich hatte bei diesem ersten
nachttauchgang überhaupt kein gefühl, ob ich nun geradeaus,
nach oben oder nach unten tauchte. In geringen tiefen merkt jeder
taucher die veränderung der tauchtiefe durch den zu- oder
abnehmenden druck im innenohr, jedoch ab etwa zehn metern tiefe
wird diese druckveränderung relativ klein. Tauchtiefenveränderungen
von zwei bis drei meter bleiben unbemerkt. So wanderte mein blick
in diesen ersten nachttauchminuten ständig zwischen Gudula,
kompaß und tiefenmesser hin und her.
Endlich besann ich mich meiner
eigentlichen mission. Natürlich wollte ich fotos machen.
Fotos von ausschwärmenden nachtschnecken in ihren farbenprächtigen
gewändern, Fotos von aufgeblühten korallen, welche
ihre tentakel wie bei einem feuerwerk in die finsternis hinausstrecken.
Und natürlich fotos von nachtaktiven zarten, graziösen
lebewesen, welche in den schwarzen fluten wie alien von fremden
planeten umherschwirren. Hoffentlich kommt jetzt kein hungriger
hai daher, dachte ich, als meine gedanken wieder in die realität
zurückkehrten. So suchte ich angestrengt nach lohnenden
fotomotiven. |
Doch
ich hatte ein problem. Ich bräuchte eine dritte hand! Der
umgang mit meiner "kompaktdoppelkamera" und den zwei
blitzgeräten war einhändig unmöglich, und die
andere hand hielt die lampe, welche für die Verständigung
mit Gudula und um fotoobjekte zu finden, notwendig war.
An dieser stelle möchte
ich die kreativität der kamerahersteller erwähnen.
Ich selbst bin ja auch ein (hoffentlich) kreativer konstrukteur
und muß produktpflege betreiben. Das heißt immer
wieder verbessern, vereinfachen und vor allem verbilligen. Nun,
es gibt bei einigen unterwasserblitzgeräten die kreative
schöpfung der im blitz eingebauten "pilotlampe".
Mit dieser erfindung werden nachtaufnahmen zu einem kinderspiel
- so oder ähnlich las ich es in einem werbeprospekt. Doch
leider ist diese "erfindung" für nachttauchgänge
vollkommen unbrauchbar. Besonders bei nahaufnahmen ist bei seitlich
angebrachtem blitz die richtung des blitzgerätes und damit
die richtung der pilotlampe vollkommen anders als die kamerarichtung.
Und damit leuchtet diese pilotlampe buchstäblich ins "out"! |
|
Gott sei dank begriff Gudula
meine mißliche lage. Wortlos gab ich ihr zu verstehen,
was ich fotografieren wollte, und sie beleuchtete das objekt.
Im nu waren wir ein perfekt eingespieltes aufnahmeteam. Mir wurde
klar, daß fotografieren mit dem weitwinkelobjektiv in dieser
finsternis nicht sinnvoll war, da der enge lichtkegel der unterwasserlampe
unmöglich die volle bildgröße ausleuchten konnte.
Somit wußte ich nie, was "im bilde" war. Also
versuchte ich mein glück mit nahaufnahmen.
Das problem der farbenerkennung
unter wasser ist jedem taucher bestens bekannt. Bei nachttauchgängen
ist diese noch schwieriger, da der gelbe lampenschein im wasser
eine grünliche beleuchtungsfarbe ergibt. Und da sich das
menschliche gehirn an der tagsüber gewohnten blauen umgebung
nicht orientieren kann, sieht das auge bei nachttauchgängen
die körperfarben eben grün beleuchtet. Bei der kameraaufnahme
leuchtet der blitz mit einer tageslichtähnlichen farbe und
ermöglicht daher farbenrichtige aufnahmen.
Nun, ich möchte die leser
nicht länger mit diesen theoretischen betrachtungen langweilen.
Ihr interesse gilt ja dem spektakulären nachtleben unter
wasser.
Soeben hatte Gudula eine nachtschnecke
aufgestöbert, welche langsam auf einem korallenfelsen dahinglitt.
Es war eine porzellanschnecke, was ich aber erst zu hause am
entwickelten dia erkannte. Ein eigenartiges erlebnis ist die
betrachtung der nachts schlafenden fische. Sie sind dabei durchwegs
im korallengewirr versteckt. |
Erstarrt, wie in glas eingeschmolzen,
schweben sie wie schwerlos im raum. Dies ermöglicht ihre
mit luft gefüllte schwimmblase. Sie funktioniert ähnlich
wie eine tarierweste beim taucher, nur mit dem unterschied, daß
fische die veränderung dieser luftkammer durch unbewußte
muskelkraft steuern. Unterstützt wird dieses gleichgewicht
auch von den bauchflossen, welche ab und zu die körperlage
durch seitliches rudern korrigieren.
Nur mit dem fotografieren
der schlafenden fische wollte es nicht so recht klappen. Als
Gudula einen papageifisch entdeckte, dauerte es doch eine weile,
bis ich diesen gut auf der mattscheibe sah. Durch den grellen
schein der lampe und auch durch die von uns verursachten druck-
und schallwellen erwachte dieser jedoch und schwamm schlaftrunken
davon, bevor ich das bild machen konnte. So erging es mir bei
vielen schläfern, und dementsprechend war auch die fotografische
ausbeute meines ersten nachttauchganges. Das ergebnis waren ein
paar schwanzflossen davonschwimmender fische, abgeschnittene
korallenäste und dunkle nachtschnecken vor kalkweißem
korallenhintergrund.
Gelegentlich kontrollierte
ich die instrumenteanzeigen und bemerkte an der kompaßnadel,
daß wir bereits auf dem rückweg waren. Wir tauchten
auf einen korallenhügel zu, dessen umriß vor dem dunkelgrünen
hintergrund gut zu erkennen war. Diese erscheinung kam mir etwas
eigenartig vor. Während ich über den immer heller werdende
umgebung rätselte, fiel mir wieder unsere filmmannschaft
ein. Wir tauchten nun über diesen hügel. Oben angekommen
sahen wir hollywood in voller "action". |
|
Es war das totale chaos. Die
gruppe tauchte kreuz und quer durcheinander. Jeder leuchtete
jeden an. An beiden seiten dieser herde erkannte ich Mohammed
und Graham an den viel schwächeren lampen. Vergeblich versuchten
sie wie schäferhunde, die herde zusammenzuhalten. Mitten
in diesem gewühl war der kameramann. Er tauchte etwa einen
halben meter über dem boden dahin und wirbelte mit seinen
schwimmflossen entsprechend viel sand auf. Es sah aus wie die
szene eines fahrenden autos in der wüste. Plötzlich
hielt er inne. Offensichtlich war ihm ein nachtmotiv vor die
linse gelaufen. Das war für seine tauchfreunde ein signal.
Wie auf kommando tauchten alle mit ihren halogenscheinwerfern
zu ihm und beleuchteten den aufgewühlten meeresboden. Mitten
in diesem gewühl sah ich einen aufgeschreckten stachelrochen
in unsere richtung davonschwimmen. Die komplette meute tauchte
hinter ihm nach. Dabei wurden wir entdeckt und sozusagen als
ersatzmotiv von sechs lichtkanonen angeblendet und dabei gefilmt.
Mir war das drehbuch zwar
nicht bekannt, aber trotzdem richtete ich meine kamera auf den
filmproduzenten, welcher mich gerade in großaufnahme verewigte.
Ich drückte ebenfalls auf meinen kameraauslöser. Dabei
hatte das weitaus hellere blitzlicht den kameramann stark geblendet.
Er versuchte mit einer hand an den augen zu reiben, was wegen
der tauchmaske nicht möglich war.
Gudula und ich tauchten weiter
und ließen hollywood hinter uns. Ich hoffte, noch vor diesen
verrückten wieder im boot zu sein. Endlich war die vom boot
herabgelassene blinklampe zu sehen. Dort angekommen tauchten
wir hoch und ich stieg erschöpft in das boot. Wir waren
vierzig minuten unter wasser gewesen, und die druckanzeige meiner
preßluftflasche zeigte noch siebzig bar druck an. Also
hätten wir noch gut zehn minuten unter wasser bleiben können.
Vielleicht tauchten gerade in diesen augenblicken einige meerjungfrauen
unter dem boot herum. Ich hätte allzugerne auch von ihnen
ein foto gemacht. Eine gruppenaufnahme chan - chan tanzender
meerjungfrauen wäre doch ein nettes titelbild für dieses
buch geworden.
Die nacht war ganz ruhig.
Am himmel leuchteten mond und sterne. Nach dieser unterwasserfinsternis
war dies eine augenweide. Ich genoß diese stille und den
anblick des sternenübersähten himmels, welchen ich
bisher in dieser herrlichkeit nicht gesehen hatte. |
Rings um das boot wurde nun
auch das wasser immer heller. Die schwarze farbe des wassers
wechselte zu dunkelgrün und veränderte sich in helles
gelb. Gleichzeitig fing das meer zu brodeln an. Es waren die
aufsteigenden luftblasen der auftauchenden filmmannschaft. Und
da kamen die tauchfreunde auch hoch.
Die nächtliche stille
wurde jäh zerrissen. Mit viel hallo und geschrei begrüßten
sich die italiener, als hätten sie eine stunde redeverbot
gehabt. Natürlich, denn unter wasser war ja kein gespräch
möglich. Vielleicht können sich die leser vorstellen,
wie in italienischer sprache in einigen minuten ein gesprächsdefizit
von einer stunde nachgeholt wird. Ich war von dieser rhetorischen
kunst und klangfarbe dieses palavers derart hingerissen und schloß
bei diesem akustischen genuß die augen. Dabei klang es,
als ob nicht acht, sondern achtzig italiener gleichzeitig sprechen
würden.
Nun stieg der kameramann als
erster in das boot. Wer jetzt erwartet, daß die anderen
tauchfreunde das boot stürmen, irrt gewaltig. Man will doch
gefilmt werden! Und das möglichst lange.
Jeder theaterbesucher kennt
die verbeugungsszene der darsteller am ende einer aufführung.
Dabei sind manche schauspieler länger zu sehen als im stück
selbst. Auch hier waren profis am werk. Zuerst stieg die hauptdarstellerin
in das boot. Als sie nach einer kleinen ewigkeit endlich an der
letzten leitersprosse angekommen war, ließ sie sich - oh
wie raffiniert - wieder in das wasser fallen. Danach wiederholte
sie diese aufstiegszene. Nach gut fünfzehn minuten kletterte
endlich Mohammed als letzter in das boot. Er sah nicht gut aus.
Sein gesicht war hochrot und die augen weit aufgerissen, als
wollte er jeden augenblick explodieren.
"Hast du etwas gegen
italiener?" fragte ich ihn.
P.S.: Ursprünglich wollte
ich hier einen bericht über die herrliche unterwasserwelt
bei nacht schreiben. Ich bitte die leser um nachsicht, falls
für einige von ihnen mein nächtliches abenteuer nicht
aufregend genug war. Ich hoffe, daß es mir einmal vergönnt
ist, einen nachttauchgang mit einer kleineren gruppe zu erleben
und werde dann versäumtes nachholen. |