das jubiläum
 

Es war mein fünfundzwanzigster tauchgang. Ein grund zum feiern? Nun es gibt im leben eines menschen sicherlich wichtigere und ereignisreichere begebenheiten, welche mehr oder weniger gefeiert werden.

So weit ich zurückdenken kann, war meine früheste kindheitserinnerung ebenfalls eine feier. Ich feierte meinen vierten geburtstag. Großvater war zufällig zu besuch, und ich hoffte auf ein geschenk von ihm.
"Opa, heute habe ich geburtstag!" sagte ich.
"Wie alt bist du denn?" wollte er wissen.
"Ich bin schon vier!"
Dabei streckte ich mich so gut es ging.
"Aha", war sein kommentar.
Letztendlich bin ich damals doch um zehn schillinge und eine tafel schokolade reicher geworden.

Es vergingen die jahre und auch die "normalmenschlichen" aber sehr lebensformenden feiern wie matura, hochzeit mit Herlinde, sowie geburt unserer kinder Birgit und Claus. Ansonsten gab es in meinem leben bisher keine überaus wichtige feier. Ach ja, der fünfundzwanzigste tauchgang!

Wir fuhren mit dem boot zu abu somas garden. Natürlich wußten meine tauchfreunde bereits von dem bevorstehenden jubiläum. Alle freuten sich. Sogar der bootskapitän spendierte eine extrarunde heißen pfefferminztee. Meine tauchfreunde begannen ein großes palaver und erzählten von ihren hundertfünfzig und zweihundert tauchgängen.

Steve, ein smarter brite meinte, daß es anläßlich meines jubiläums eine überraschung für mich gäbe. Als tauchführer der gruppe bestimmte er, daß dieses mal ich als erster ins wasser darf. Ich war gerührt. Trotzdem war es für mich eine gewisse ehre, da ich wegen der dreimaligen inspektion meiner kameraausrüstung grundsätzlich immer als letzter fertig wurde.

Nach dem ankern des bootes beeilte ich mich mit dem anlegen der tauchausrüstung. Ausnahmsweise checkte ich die kamera nur einmal und sagte zu meinen freunden ein paar formelle dankesworte. Dann sprang ich in das wasser.

Viel zu schnell wieder an der wasseroberfläche hörte ich die komplette mannschaft brüllen: "Congratulaaaation!!!" Alle lachten. Sogar der meist finster blickende steuermann grinste über das ganze gesicht, und seine zähne blitzten in der sonne. So eine schande, dachte ich und kletterte wieder in das boot.

Ich hatte den bleigurt vergessen!

Ausgerechnet heute mußte dieses mißgeschick passieren. Mein trost war, daß beinahe jeder taucher irgendwann einmal auf das anlegen des bleigurtes vergessen hatte. Ohne diesen schwimmt man an der wasseroberfläche mit dem luftgefüllten gewebe des tauchanzuges wie ein kork. Der vorteil ist dabei unsinkbar zu sein, jedoch ein abtauchen ohne bleigurt ist in diesem fall fast unmöglich.

Nach dieser jubiläumsvorstellung meinerseits beruhigten sich wieder die gemüter der tauchfreunde. Dann sprach Steve wie üblich sein gebet:
"Don´t leave your diving partner and be back on board with more than fifty bar"
"Amen", antworteten wir im chor.
Vom ersten tauchtage an sprach Steve vor jedem tauchgang diesen satz. Er sagte es wie das kleingedruckte in einem vertrag. Doch so unwichtig ist diese ermahnung nicht. Die meisten tauchunfälle passieren wegen ignoranz dieser wichtigen gebote: Nie alleine tauchen und rückkehr vor erreichen des reservedruckes in der preßluftflasche.

Es wurde ein wunderschöner tauchgang, vielleicht der schönste bisher. Kein botanischer garten dieser Welt kann sich mit der schönheit des abu somas garden messen. Dieses hügelige korallenriff vor der küste Safagas befindet sich in zehn bis zwanzig Meter Tiefe und ist überall mit verschiedenstem korallenwuchs bedeckt. Und zwar so vollständig, daß nirgends freier meeresboden hervorstand. Keine dieser teilweise filigranen und zerbrechlichen korallen war beschädigt oder abgebrochen. Sogar die fische wirkten hier frischer und jünger.

Das schöne beim tauchen ist der umstand, daß keine vorgegebenen wege die bewegungsfreiheit einschränkt. Ich schwebte über diese hügelige landschaft wie ein adler in seinem revier. Hier waren tatsächlich fast nur jungfische, welche wegen der vielen und dichten korallen ein ideales aufwuchsgebiet hatten.

Da erblickte ich in vier metern entfernung einen roten fleck auf einer hellen steinkoralle. Ich tauchte näher und entdeckte einen ganz jungen skorpionfisch. Er war kaum größer als fünf zentimeter. Skorpionfische gehören zu den faulsten ihrer Art. Sie liegen oft stundenlang auf ihrem platz und warten, daß sich ein opfer nähert. Sobald dieses in die reichweite ihres großen maules gelangt, öffnet es der skorpionfisch blitzschnell. Durch den dabei entstehenden wassersog wird das opfer in sein maul gerissen und vom immer hungrigen skorpionfisch verschlungen.

 

 

Normalerweise sind skorpionfische wegen ihrer bizarren körperform schwer zu finden, wenn sie sich geschickt im korallengewirr verstecken. Dieser junge fisch hatte offensichtlich noch wenig erfahrung und war deshalb schon von weitem zu sehen. Skorpionfische können sehr alt werden. Wegen ihrer giftigen stacheln haben sie praktisch keine feinde. Nähert sich ein angreifer, so spreizt der skorpionfisch seine drachenförmigen seitenflossen und warnt dadurch die gegner. Offensichtlich war ich hier in einen kindergarten für fische eingedrungen. Kaum hatte ich diesen skorpionfisch fotografiert, entdeckte ich einige Meter entfernt ein weiteres baby.

Es war eine junge muräne, ihr kopf nicht größer als drei zentimeter. Nicht einmal zähne hatte sie und blickte neugierig aus dem korallenversteck heraus. Auch muränen sind ortstreue fische und wechseln die behausung nur dann, wenn es wegen ihres wachstums zu klein geworden ist.

Sie verstecken sich in ganz engen spalten, woraus dann nur mehr der kopf herausragt. Schwimmt sie aus ihrem versteck, um ein opfer zu fangen, so wird die ganze länge ihres schlangenartigen körpers sichtbar. Erwachsene muränen können über zwei meter lang werden.

Dieser tag war wirklich ein glückstag! Ich konnte mich an der reichhaltigen fauna nicht genug sattsehen. Viel zu früh ermahnte Steve an die rückkehr. Jedenfalls hatte ich festgestellt, daß es ein gleich schönes tauchgebiet bei den stark betauchten riffgebieten von hurghada nicht gab. Doch schönheit kann nicht gemessen werden. Diese wird oft durch situationen beeinflußt. Jeder mensch beurteilt schönheit anders, und leider ist sie auch vergänglich. Hoffentlich kann dieser garten noch lange seine jugendliche frische erhalten.

 

 © 2000 e.pokorny