hereinspaziert
 

Senkrecht stieg die sonne am morgen den horizont empor. Sie hatte große mühe den dunst und staub, welcher über dem roten meer lag, zu durchdringen. In ihrem schattenlosen morgenlicht wirkte die wüste wie eine künstlich beleuchtete theaterkulisse.

Vor dieser kulisse zogen bei unserer bootsfahrt die hotels und bungalowanlagen langsam vorbei. Eines der ältesten hotels bei hurghada war das sheraton, ein haus für dicke brieftaschen.

Viele dieser hotelanlagen waren erst im entstehen, und die baukräne verliehen dem küstenhorizont einen hauch von manhattan. Hoffentlich wird diese einmalige und wunderbare unterwasserwelt nicht durch den stetig zunehmenden tauchtourismus zerstört .
 

 

Diese dunstige morgenstimmung begleitete uns während der etwa einstündigen bootsausfahrt zu einem der vielen korallenriffe vor der ägyptischen küste. In diesem diffusen morgenlicht leuchtete die farbe der wasseroberfläche grau bis schwarz. Durch die spiegelung des sonnenlichtes wirkte sie wie ein nächtlicher sternenhimmel, welcher von dem lichtermeer der milchstraße überzogen ist, in dem die einzelnen sterne nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.

In der küstennähe bei hurghada wachsen viele korallenriffe bis knapp unter die wasseroberfläche hinauf. Diese für boote gefährlichen untiefen werden durch bojen gekennzeichnet, auf welchen signalfahnen angebraucht sind. Weit in der ferne erkannten wir bereits unser ausflugsziel. Es war eine der dem festland vorgelagerten unbewohnten wüsteninsel. Nackt und kahl erhob sich diese insel aus den blaugrünen fluten. Die einzigen bewohner waren unzählige wasservögel, welche hier weitab vom festland eine geschützte brutstätte hatten.

Rings um diese insel waren durch die auffallende und wechselnde farbe der wasseroberfläche bereits riffe unter wasser erkennbar. Nach dem ankern des bootes zwängten wir uns in die tauchanzüge, tarierwesten, bleigurte, flossen, tauchmasken, hoben die preßluftflaschen auf unsere rücken und waren somit um gut zwanzig kilo schwerer geworden. Schwer wie aus stein torkelten wir an die bootskante als das kommando kam: Klar zum tauchen!

Ich saß also mit voller tauchausrüstung mit dem rücken zum wasser am bootsrand, als Jane, meine tauchbegleiterin rief:
"Drop back!"
Das kommando galt mir. Ich sollte mich also vom bootsrand rücklings und einen meter tief in das wasser fallen lassen.

Ungefähr so mußte sich mein sohn mit sieben jahren gefühlt haben, als er damals am schwimmbecken auf dem einmeterbrett stand, und ich zu ihm rief:
"Spring!"
Er hatte nase und augen geschlossen und sprang. Aber ich war damals zweiundvierzig und hatte mich noch nie rücklings ins wasser fallengelassen. Noch dazu mit zwanzig kilo ballast, einen halber Meter wellengang und eine beschlagene tauchmaske. Vor einem jahr beim tauchlehrgang war das alles viel einfacher gewesen. Da konnten wir direkt vom Schlauchboot in das wasser einsteigen.

Also umklammerte ich mit meinen händen maske und preßluftflasche, schloß die augen und ließ mich fallen. Vor schreck fiel dabei mein lungenautomat aus dem mund. Die prall gefüllte tarierweste trieb mich aber sofort wieder an die wasseroberfläche, wo ich zuerst einmal kräftig wasser ausspuckte. Salzwasser, im roten meer noch geschmackvoller als sonst. Jane grinste mich an.
"Welcome over board!" hieß sie mich in den fluten willkommen.

Aufgrund meiner spärlichen taucherfahrung mußte ich mit ihr einen check-tauchgang absolvieren. Doch beim tauchen ist es ähnlich wie beim schwimmen. Man kann längere zeit damit aussetzen und verlernt es doch nicht zur gänze.

Also, lungenautomat wieder in den mund, tauchbrille ausspülen, mit der hand das ok-zeichen und ab geht die post! Kaum unter wasser, war bei mir die ruhe wieder da. Der druckausgleich im kopf funktionierte ausgezeichnet. Langsam ließen wir uns acht meter zu boden sinken. Die sicht war etwa zwanzig meter, also für einen sandmeeresboden sehr gut. Mit zunehmender tiefe wurden auch die konturen des meeresbodens schärfer, und zum ersten mal sah ich fische unter wasser, auge in auge.

 

 

Nun, fische im wasser sind ja eigentlich nichts besonderes, aber an den touristenüberfüllten mittelmeerstränden doch eine seltenheit. Dieses mal waren es auch große fische. Ein farbenprächtiger papageifisch schwamm auf mich zu, machte in einen meter entfernung einen eleganten bogen und winkte mit seiner seitenflosse, als wollte er sagen: "Follow me!"

Etwas unsanft landete ich auf dem meeresboden und wirbelte sogleich eine sandwolke hoch. Ich hatte beim abtauchen luft aus der tarierweste ausgelassen, vergaß aber diese mit zunehmender tiefe wieder zu füllen. Nach dieser kleinen panne forderte mich jane auf, ihr zu folgen. Wir tauchten im konvoi, etwa eineinhalb meter über dem boden. Vorne der papageifisch, dann Jane und ich. Plötzlich wurde mir bewußt, daß ich wirklich im roten meer tauchte. Ich blickte ehrfurchtsvoll umher. Wie in einem botanischen garten wuchsen aus dem hellen sandboden die korallenstöcke empor. Sie bildeten mit ihren eigenartigen und abstrakten formen eine bizarre unterwasserlandschaft. Es war ähnlich den kakteen in der wüste, nur etwas frischer. Ich blickte nach hinten und sah uns von vielen kleinen, neugierigen fischen verfolgt.

Wir überquerten nun das etwa zehn meter breite sandplateau und näherten uns der ersten riffkante. Die scheinbare farbe des wassers wechselte dabei von hellem türkis auf dunkelblau. An der riffkante angelangt, blickte ich in eine vorher noch nie gesehene unterwasserhügel und -berglandschaft, wie auf einem berggipfel in den alpen mit panoramablick.

In diesen augenblicken fühlte ich mich wie ein bergsteiger, nach mühevoll erklommenen gipfel. Üblicherweise wird der menschliche körper nach einen gipfelsturm mit ein paar kräftigen atemzügen belohnt, wobei gesunde und frische gebirgsluft die staubverseuchten lungenflügel füllt. Auch ich wollte mich belohnen und sog entsprechend stark einige Liter frisch komprimierte wüstenluft aus der preßluftflasche. Beim ausatmen stieg dabei jeweils ein feuerwerk an luftblasen empor. Besorgt tauchte Jane zu mir, weil sie wahrscheinlich dachte, irgend etwas ist nicht in ordnung. Doch ich deutete ihr mit der hand, daß alles o.k. sei.

Im zeitlupentempo schwebten wir entlang der riffwand auf das nächste meeresplateau hinunter. Es war dies ein unbeschreibliches gefühl, so im wasser dahinzugleiten, wie ein vogel in der luft.

Und überall schwammen sie, die vielen verschiedenfarbigen fische, von denen ich zu diesem zeitpunkt noch keine namen kannte. Die kleinen fische kamen dicht heran und umkreisten mich wie ein hund, welcher neue besucher beschnüffelt. Einige fische verharrten bewegungslos vor ihren korallenhäusern und betrachteten mich mit erstauntem, mißtrauischem oder gleichgültigem blick. Die größeren schwebten arrogant mit respektabstand vorbei, als wollten sie sagen:
"Haben sie schon eine eintrittskarte?"

   
  Jane tauchte zu mir. Sie deutete mit der hand auf eine bestimmte stelle am meeresboden. Offensichtlich wollte sie mir etwas zeigen. Aber außer sand und zwei herumliegende kugelförmige steine sah ich nichts besonderes. Plötzlich begannen die zwei steine zu hüpfen. Der boden begann zu brodeln, und eine sandwolke stieg hoch. Wir hatten einen stachelrochen in seinem versteck aufgestöbert. Beleidigt von dieser ruhestörung, schwamm - nein - schwebte er mit seinem auf- und niederwallenden flossensaum davon. Ich fühlte mich wie in einem zirkus, wo jede minute eine neue gruppe ihre darbietung brachte. Diese eindrücke faszinierten mich derart, daß ich total auf das fotografieren vergaß. Vielleicht war es aus diesem grunde für mich einer meiner wenigen unvergeßlichen und streßfreien tauchgänge.
 

 © 2000 e.pokorny