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Wie in trance schritt ich
den weg zwischen den hübschen wohnbungalows in richtung
tauchstation entlang. Rechts und links des weges standen blühende
oleanderbäume in roten und weißen farben. Auch etliche
blumenbeete waren in dem noch grünen rasen zu sehen. Der
einheimische gärtner bemühte sich rund um die uhr,
diese liebevoll gepflegte flora in ihrer pracht zu erhalten,
welche hier in dem wüstengebiet wie ein naturwunder wirkte.
Doch für all diese schönheit hatte ich keinen blick.
Ich hatte nur einen gedanken:
Tauchen im roten meer!
"Das woll´n hier
alle!" waren die worte des tauchbasisleiters.
Langsam kehrten meine gedanken wieder in die realität zurück.
Es war ende april 1992. Vor einer knappen stunde hatte ich das
angenehm klimatisierte flugzeug auf dem flughafen von hurghada
verlassen und betrat zum ersten mal in meinem Leben ägyptischen
wüstenboden. Endlich war ich im giftun village, eine der
vielen ferienanlagen vom tauchparadies hurghada, angelangt!
Mein trancezustand zerplatzte
wie eine seifenblase. Ein freundliches bayrisches gesicht lächelte
mich an. Erst jetzt bemerkte ich auch die vielen tauchgäste
auf der großen sonnengeschützten terrasse der tauchbasis.
Worte schwirrten über die tische, und ich vernahm redewendungen
wie "So groß !","Soo schön !!"
und "Sooo tief !!!"
Als sachlich denkender techniker fiel mir unwillkürlich
das vielzitierte taucherlatein ein.
"Also, morgen um acht
geht's los!" sagte Mac, der tauchbasisleiter.
"Brauchst du ausrüstung?" |
Ich verneinte und erwiderte
mit zurückgehaltenem stolz, daß ich etwa zwanzig kilo
ausrüstung selbst mitgebracht hatte. Mac sah mich mit großen
augen an und sagte:
"Blei kriegst du hier gratis!"
Er wußte noch nicht, daß mein gepäck hauptsächlich
aus fotoausrüstung bestand.
In der folgenden nacht merkte
ich, daß auch die stechmücken hier gratis waren und
verbrachte einige zeit mit der beseitigung dieser plage.
Um sieben uhr, also noch mitten
in der nacht, riß mich der vorsorglich mitgenommene wecker
aus dem schlaf. Doch das reichliche frühstücksbuffet
weckte meine lebensgeister vollauf. Nur der kaffee schmeckte
hier nicht ganz österreichisch! Dieses frühstücksproblem
gibt es anscheinend rund um die welt.
"Also, zeigt mir eure
tauchhefte und den seuchenfreischein."
Mac meinte damit die ärztliche tauchtauglichkeitsbescheinigung,
welche von jeder seriösen tauchbasis verlangt wird. Ich
saß völlig entspannt mit einigen neuangekommenen auf
der terrasse. Es war acht uhr morgens, wegen der sommerzeit eigentlich
erst sieben, und die sonne, vor etwa zwei stunden aufgegangen,
zeigte in diesen breitengraden bereits ihre volle kraft.
Etwas nervös wurde ich,
als die anwesenden gäste ihre tauchhefte mit fünfzig
und mehr eintragungen präsentierten. Nach dem öffnen
der ersten seite meines tauchheftes fühlte ich mich von
hundert kritischen augen beobachtet. Darin waren erst fünf
eintragungen. |
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Es war juli 1991, als ich
im damaligen jugoslawien die ersten tauchgänge absolviert
hatte. Im ruhigen örtchen bol auf der insel brac lernte
ich theorie und praxis des tauchens. Während dieser zeit
waren ständig zwei tauchlehrer und ein tauchbegleiter an
meiner seite. Ich wünsche jedem taucheinsteiger dieselbe
gute und sorgfältige ausbildung!
Das tauchen selbst ist leicht
erlernbar. Zur schonung der leser wird aber in diesem buch auf
die erläuterung von theorie und gesetzmäßigkeiten
verzichtet. Dafür gibt es gute fachliteratur, welche ich
zu dem damaligen zeitpunkt bereits auswendig gelernt hatte. Doch
grau ist jede theorie, sagt ein bekanntes sprichwort. So möchte
ich ein paar zeilen über meine ersten praktischen erlebnisse
beim tauchen berichten.
"Well, let's go in!"
rief Sergej, mein kroatischer tauchlehrer.
Er war damals neunzehn jahre jung, sehr sympathisch und leitete
die tauchbasis. Unterstützt wurde Sergej von seiner netten
kollegin Mira und noch einem tauchguide. Auf grund beiderseitig
fehlender nachbarlichen sprachkenntnisse war unsere verständigung
in englisch. Immerhin hatte ich dabei wieder einige vokabeln
dazugelernt.
Wir wateten also direkt vom
ufer mit voller ausrüstung in das wasser - natürlich
ohne flossen. Diese zogen wir im hüfttiefen wasser an und
schnorchelten noch etwas weiter, bis uns das wasser zum Hals
reichte.
Nun mußte es kommen!
Der erste atemzug unter wasser!
Den eigenartigen geschmack
des mundstückes kannte ich schon vom schnorcheln und natürlich
auch das atmen durch dieses. Aber für das atmen unter wasser
war schon eine kleine hemmschwelle zu überwinden.
Also, luft aus der tarierweste
ablassen und auf den boden hinknien. Ich machte diese einfache
übung dermaßen theatralisch im zeitlupentempo, daß
Sergej und Mira unter wasser lachen mußten. Es war dies
an den seitlich hochgezogenen mundwinkeln der beiden zu erkennen,
aus denen etwas luft ausströmte. Auch ich mußte unwillkürlich
lachen und schluckte dabei mein erstes quantum meerwasser unter
wasser.
Wieder notgedrungen über
wasser, sagte Sergej lachend:
"You remain me on Hamlet!"
Leider habe ich dieses drama von Shakespeare noch nicht gesehen
und versprach, dieses nachzuholen. |
Nach diesem demütigen
kniefall vor dem meeresgott war das erste abtauchen auf etwa
vier meter wassertiefe auf dem programm. Zuerst tauchte Sergej
elegant senkrecht nach unten. Jetzt kam der augenblick, wo auch
ich luft aus der tarierweste entweichen ließ. Doch von
untertauchen war keine spur!
Ich kam mir vor wie eine flaschenpost,
welche auf der wasseroberfläche hin und her schaukelt. Was
war los?
Hatte ich zuwenig blei?
Oder verschmähte mich Neptun?
Ich drückte unablässig das ausblaseventil, doch es
kam keine luft mehr heraus. Endlich erkannte Mira meine mißliche
lage und zeigt die richtige handhabung des luftauslassens, wobei
das ventil möglichst über kopf gehalten wird.
Na also, es ging!
Es ging aber nun verdammt
schnell nach unten, weil ich vor lauter wut die ganze Luft herausgelassen
hatte. Und vor lauter schreck ließ ich wieder druckluft
in die weste, um nicht wie ein stein auf dem meeresboden aufzuschlagen.
Es war natürlich zuviel
luft!
Wie von einem Gummiband hochgezogen, schoß ich vor erreichen
des meeresbodens nach oben und befand mich wieder an der wasseroberfläche.
Gemächlich tauchte Sergej hoch. "Ernst, what's your
problem?"
Na ja, ein bißchen schämte ich mich schon.
"Remain relaxed and try again." sagte er mit seiner
engelsgeduld.
Nachdem ich mich wieder mit
Neptun versöhnt hatte, gelang der nächste versuch tadellos.
Ich war direkt stolz auf mich! Nun tauchten wir einige zeit in
fünf meter wassertiefe umher, Sergej voran wie ein delphin
in zeitlupe. Ich hüpfte wie eine frisch geschlüpfte
kaulquappe nach. Mira machte den abschluß ähnlich
einer graziösen meerjungfrau.
Nun fand ich endlich ruhe
und zeit, die welt unter wasser zu betrachten. Wir tauchten etwa
einen meter über dem boden. Die sicht war anfangs wegen
meiner abstrakten tauchweise etwas getrübt, doch das besserte
sich nach wenigen metern. Im sandigen meeresboden lagen verstreut
einige felsbrocken umher. Plötzlich kam eine cola-flasche
in mein blickfeld. Entzückt von dieser entdeckung tauchte
ich darauf zu. Sie schien riesig groß zu sein, und als
ich meine hand danach ausstreckte, war diese ebenfalls gewachsen.
Also stimmt es, daß alle gegenstände wegen der unterschiedlichen
lichtbrechung unter wasser größer erscheinen als in
wirklichkeit. |
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Wir tauchten über seegraswiesen
und seeigelkolonnen dahin, als mir endlich meine mitgenommene
unterwasserkamera einfiel. Es war eine nikonos V. Ich visierte
eine der vielen unappetitlichen seegurken im sucher, stellte
die belichtung und entfernung ein und wunderte mich, daß
plötzlich die seegurke viel weiter weg war. Ja, sie wanderte
förmlich nach unten! Ehe ich die ursache erkannte, war ich
bereits wieder an der wasseroberfläche angelangt. Jetzt
wurde mir klar, warum meine beine beim tauchen etwa dreißig
zentimeter über dem kopf strampelten.
Es war noch zuviel luft in
der tarierweste! Und ich mußte diesen auftriebspolster
beim tauchen ständig nach unten drücken. Doch der mensch
ist lernfähig und mit jedem tauchgang verbesserte sich meine
bewegungsweise.
Nun ging es mit der schulung
weiter. Sergej sagte zu mir:
"Now you have to pull off your mask under water and continue
your breathing!"
Nichts leichter als das. Die tauchmaske unter wasser abnehmen
und wieder aufsetzen hatte ich schon genügend im schwimmbecken
geübt. Auch aus dieser das wasser durch einblasen von luft
mit der nase hinausdrücken, war kein problem. Trotzdem zeigte
Sergej vor, was zu tun war.
Wir befanden uns wieder auf
unserem übungsplatz in fünf meter wassertiefe und knieten
auf dem meeresboden. Musterhaft zog Sergej seine tauchmaske vom
kopf, verweilte in dieser stellung, während er ruhig weiteratmete.
Nach einer weile setzte er die maske wieder auf, wobei durch
geschicktes einblasen von luft das wasser hinausgedrückt
wurde.
Nun war wieder ich an der
reihe!
Hat da nicht soeben jemand gelacht?
Also das ist doch wirklich
kinderleicht. Ich zog vorsichtig die tauchmaske vom kopf. Die
eingeschränkte sicht unter wasser kennt jeder gute schwimmer.
Dann schloß ich die augen bis auf einen schmalen schlitz
und konnte tatsächlich die umrisse meiner tauchlehrer besser
erkennen. Nach dem aufsetzen der maske war auch das wasserausblasen
aus dieser kein problem.
Ich war sehr zufrieden mit
mir! Jedoch Sergej und Mira deuteten: So nicht! Er zeigte es
nochmals vor und da begriff ich, daß bei meiner übung
das weiteratmen ohne maske fehlte. Nun dann, maske wieder herunter,
ruhig einatmen und ruhig ausatmen.
Dann war es vorbei mit meiner ruhe!
Wie eine rakete schoß
ich nach oben an die wasseroberfläche. Gemächlich tauchten
meine geduldigen tauchlehrer zu mir herauf und fragten wie schon
oft:
"What's your problem Ernst?"
Nun dadurch, daß nach dem abnehmen der maske unter wasser
meine nase frei war, drang die herausströmende luft vom
mundstück in die nase hinein und verursachte ein völlig
neues prickelndes gefühl. Völlig verunsichert berichtete
ich von dieser neuen erfahrung.
"You have to become familar with this feeling", meinte
Sergej. |
Also, gewöhnung ist alles.
Nach dieser weisen erkenntnis gelangen mir die nächsten
versuche tadellos, und jetzt endlich war auch Sergej mit mir
zufrieden.
Ich hatte das gefühl, daß sogar der mereesgott applaudierte!
Die theoretische abschlußprüfung fand ebenfalls in
englischer sprache statt. Obwohl mir ein deutsch sprechender
prüfer angeboten wurde, bestand ich dennoch auf die abnahme
durch Sergej und Mira, welche inzwischen gute freunde geworden
waren. Doch beim examen war von freundschaft keine spur. Ich
hatte doch einige mühe mein gelerntes theoretisches wissen
in englischer sprache wiederzugeben. Wiederholt bat mich Sergej:
"Please more exactly, Ernst!"
Die letztendlich doch bestandene
prüfung feierten wir anschließend mit einem guten
bier. Während dieser kleinen feier wurde Sergej an das telefon
gerufen. Als er zurückkam, war er völlig verstört
und hatte tränen in den augen.
Was um himmels willen war geschehen!
Auch Mira war zutiefst erschüttert.
Ein freund von ihnen, ebenfalls tauchlehrer, hatte einen unfall.
Es war ein tauchunfall.
Ein tödlicher tauchunfall!
Stockend berichtete Mira,
daß dieser freund mit einer gruppe gut ausgebildeter taucher
unweit von hier einen routinemäßigen tauchgang unternommen
hatte. Nach dem auftauchen erzählte der mann von irgendeinem
interessanten gegenstand, den er in etwa fünfzehn meter
tiefe gesehen hätte. Die tauchausrüstung hatten alle
bereits abgelegt, doch der mann wollte unbedingt nochmals in
das wasser. Trotz warnung seiner freunde tauchte dieser ohne
gerät hinab.
Er kam nicht wieder hoch!
In der folgenden nacht konnte
ich lange nicht einschlafen und überlegte, ob es besser
wäre mit diesem nicht ganz ungefährlichen vergnügen
aufzuhören. Doch jeder tag bringt wieder neues leben, und
so überzeugten mich Sergej und Mira, daß nicht das
tauchen selbst, sondern der unerklärliche leichtsinn ihres
jungen freundes an dessen tod schuld war. Ich möchte an
dieser stelle meinen beiden freunden aufrichtig danken, daß
sie mir geholfen haben, diese tatsache zu begreifen.
Soweit meine ersten taucherlebnisse
an der kroatischen mittelmeerküste.
In den folgenden jahren versuchte
ich den kontakt zu den sehr engagierten beiden freunden brieflich
aufrechtzuerhalten. Es gab von Sergej und Mira einige antwortsbriefe,
in denen sie mich immer wieder nach kroatien einluden. Wegen
der damaligen krise verbrachten meine familie und ich die urlaube
in der eigenen heimat. Seit 1993 blieben auch die rückantworten
meiner beiden freunde aus.
Ich machte mir sorgen und
konnte nur hoffen, daß die beiden nicht opfer dieses schlimmen
und menschenunwürdigen krieges in kroatien geworden sind. |