das wrack
 

Trotz der winzigkeit des inselstaates der malediver sind die einwohner sehr eigenständig und selbstbewußt. Sie haben eine eigene sprache und sogar eine kriegsmarine. Da die wirtschaft durchwegs vom fischfang geprägt ist, achtet die wasserpolizei sehr streng auf ausländische fischräuber, welche manchmal allzu sorglos in diesen fischreichen gewässern umherstreunen.

Dennoch drang im jahre 1990 ein japanischen fischdampfer in die hoheitsgewässer der malediven ein, um in diesen von der industrie unbelasteten gewässer ebenfalls unbelastete und schwermetallfreie fische tonnenweise an bord zu holen. Trotz fehlender ultramodernen infostruktur war jedoch die wasserpolizei sehr schnell vor ort und forderte die japanischen fischer zum verlassen des hoheitsgebietes und zur bezahlung einer empfindlichen geldstrafe auf.

So ungefähr mußte sich der kampf zwischen David und Goliath zugetragen haben, wobei die rollenverteilung in diesem fall klar ersichtlich war. Die japaner ignorierten diese warnung. Nach einem kleinen diplomatischen zwischenspiel wurde der fischerdampfer beschlagnahmt, und die besatzung mußte das schiff verlassen. Nachdem die japaner die auferlegte geldstrafe nicht bezahlten, wurde dieses schiff als mahnmal für nachahmer von der maledivischen marine im meer versenkt.

Seit diesem ereignis im jahre 1990 wird es nicht mehr allzu lange dauern, bis dieses wrack total durchgerostet im meer versinkt. Bis dahin dient es als eine attraktion für aufregende tauchgänge.

Soweit die vorgeschichte zum letzten tauchgang meiner maledivenreise.

Nachdem jeder gesunde mensch zur regeneration (und anscheinend auch zur ausnüchterung) mindestens acht stunden schlaf braucht, erwachte ich nach dieser anstrengenden landungs-party erst gegen mittag. Wrack ade, dachte ich etwas verärgert und begab mich gemächlich zum etwas verspätetem frühstück. Nur wenige menschen waren um diese zeit in dem offenen restaurantzelt zu sehen. Ich traute jedoch meinen augen nicht, als ich an einem tisch Petra und meine tauchfreunde erblickte. Was war los?

"Ist das wrack untergegangen?" fragte ich scherzhaft.
"Nein," war die antwort von Petra, "wir haben nur auf dich gewartet!".

Ungläubig blickte ich in die gesichter meiner tauchfreunde, in welchen ein etwas verlegenes lächeln zu erkennen war. Aha, also waren alle zu spät gekommen. Natürlich ist das boot pünklich um neun uhr vormittag abgefahren. Jedoch war die nachfrage nach diesem offensichtlich spektakulären tauchgang sehr groß und das boot zu klein. Deshalb wurde eine zweite tauchfahrt für nachmittag angesetzt.

 

 

Die bootsfahrt zum wrack dauerte nur eine knappe halbe stunde. Schon von weitem war das herausragende verrostete heck des schiffes zu erkennen. Rund um das wrack ankerten einige ausflugschiffe. Unser boot hielt etwa fünfzig meter vor dem wrack, und Petra erklärte den bevorstehenden tauchgang.

"Passt auf die strömung auf, und taucht keinesfalls in das innere des schiffes hinein!" warnte Petra. Nachdem das schiff bereits einige jahre dem zerfressenden salzwasser ausgesetzt war, bestand die gefahr, daß sich irgendwelche eisenteile schon bei kleinster berührung vom schiffskörper lösen konnten. Mir war diese gefahr sehr bewußt, denn ich erinnerte mich an meinen tauchgang zum 'baron Gautsch' an der kroatischen küste. Der 'baron' lag ja bereits achzig jahre unter wasser, und beim durchtauchen des schiffsinneren dauerte es einige minuten, bis sich die aufgewirbelte rostwolke wieder absenkte.

Nach dem anlegen der tauchausrüstung sprangen wir in das wasser und tauchten zunächst auf den 20 meter tiefen meeresboden hinab. Eigentlich ist das falsch, denn es war das plateau eines der unzähligen korallenstockes, welche die inseln der malediven gebildet hatten. Der wirkliche meeresboden befindet sich in diesem gebiet einige hundert meter tiefer.

Das war nicht immer so, denn ansonsten gäbe es ja hier keine koralleninseln. Über die enstehungsgeschichte der koralleninseln gibt es einige hypothesen, deren genauen erklärung ich ihnen aber hier ersparen möchte.

Die verbreitetste annahme ist, daß in der frühzeit - also vor millionen von jahren - der meeresboden weit höher lag und dieser im laufe der erdgeschichte langsam absank. Dadurch wuchsen im gleichen maße die korallen empor, welche ja auch licht und sonne zum leben brauchen.

Hier war der lebende korallenbestand nicht besonders eindrucksvoll. Es sah aus wie auf einer zerbombten mondlandschaft, und das ist durch die versenkung des schiffes leicht erklärbar. Vereinzelt war eine regeneration von korallen zu erkennen, an welchen sich kleine fischfamilien angesiedelt haben.

Die leichte meeresströmung trieb uns in richtung wrack, von welchem allerdings unter wasser noch nichts zu sehen war. Ein paar neugierige muränen äugten aus den korallenverstecken hervor. In dieser kahlen umgebung erinnerten mich diese fische wie aasgeier in der wüste, welche geduldig auf kadaver warteten.

Plötzlich war am wasserhorizont ein dunkler schatten zu erkennen, welcher beim herantauchen die kontur des schiffsrumpfes abzeichnete. Jetzt wurde auch klar, warum der bug des schiffes wie eine gestrandete rakete aus dem meer herausragte. Das schiff lag schräg auf einem steilen hang.

 

 

Langsam ließen wir uns schwerelos von der leichten strömung zum wrack hintreiben. Gemächlich erreichten wir das wrack und tauchten unter diesem hindurch. Es war dies ein gefühl wie bei einem ausflug im weltall mit dem space shuttle. So könnte in einigen jahren eine reise zu den überresten der 'mir' vor sich gehen, falls sie vorher nicht auf die erde zurückfällt. Trotz der scheinbaren schwerelosigkeit beim tauchen spürt man auch bei geschlossenen augen wo 'oben' und 'unten' ist. Dieses gefühl verursacht der gleichgewichtssinn im ohr, welcher sich nach der schwerkraft der erdanziehung orientiert.

Auf der anderen seite angekommen, stiegen wir im strömungsschatten des mächtigen schiffsrumpfes einige meter hoch. Der rumpf war in dieser tiefe nackt und stark angerostet. In der näheren umgebung des wracks lagen am meeresboden einige größere schiffsteile herum, darunter auch die kommandobrücke.

Gemächlich begann nun der aufstieg. Da dieser tauchgang nicht in größere tiefen führte, war genug luft vorhanden, um das auf- und abtauchen wie bei einer liftfahrt in einem hochhaus zu gestalten. Einfach den inflatorknopf oder das ausblaseventil drücken und die tauchfahrt ging einige stockwerke höher oder tiefer, je nach belieben.

Vereinzelt war am schiffsrumpf korallenbewuchs vorhanden, welcher mit jedem meter höhe zunahm. Über etwa zehn meter tiefe war die oberfläche des schiffsrumpfes fast vollständig mit korallenbewuchs bedeckt.

 

 

Im Gegensatz zum 'baron Gautsch' war dieses wrack doch ungleich mächtiger und größer. Ein hindurchtauchen wäre hier wirklich großer leichtsinn. Trotzdem wollten einige tauchfreunde versuchen, bei einer der offenen türen hineinzutauchen. Vorsichtig äugten sie durch die öffnung und leuchteten mit ihren stablampen hinein. Verschreckt und verärgert flohen einige fische aus der türe hinaus, gefolgt von einer rostwolke. Man konnte sie fast schimpfen hören. Auch die 'mutigen' taucher waren durch diese unheimlichen begegnung verunsichert und brachen ihr unternehmen ab. Natürlich hat die gestrenge Petra dieses 'vergehen' beobachtet, aber nachdem sie keinerlei reaktion zeigte, war es klar, daß die abenteurer nicht zu unserer tauchgruppe gehörten.

Die besichtigung des wracks dauerte etwa eine halbe stunde. Während dieser zeit hatten sich doch einige tauchfreunde unserer gruppe von Petra entfernt. Es gelang ihr jedoch immer wieder, diese ausreisser in die herde zurückzutreiben. An der wasserlinie zum wrack war leichte wellenbewegung und schaumkronen sichtbar.

Beim auftauchen besteht dabei die gefahr, daß auch kleine wellen den taucher gegen den schiffsrumpf schleudern und dabei verletzen konnten. Also ließen wir uns nach dieser ergiebigen erkundigungstour in fünf meter wassertiefe etwa 30 meter vom wrack wegtreiben. Natürlich hatte Petra diesen neuen aufstiegsort schon vorher mit dem bootsführer vereinbart, und nachdem eine routinierte tauchführerin 'ihr' boot auch von unten kennt, tauchten wir punktgenau bei der bootsleiter auf.

Mittlerweile war es später nachmittag geworden, und die schon tiefstehende sonne zauberte tausende lichtpunkte in die leicht bewegte wasseroberfläche. Hier sah das wrack wirklich aus, wie ein gestrandetes raumschiff in der milchstraße. 

 

 

Obwohl dieser tauchgang genügend gesprächsstoff und palaverinhalte hatte, herrschte dennoch ein gedrücktes schweigen unter uns.

Es war unser letzter tauchgang.

Meinem gehirn tat dieses schweigen gut, um diese faszinierenden eindrücke zu verarbeiten und zu speichern. Im geiste formierten sich schon die bilder für die geplante dia-show über diese reise, welche ich dann auch verwirklichen konnte. Meine momentane größte sorge war: Hoffentlich werden die bilder was! 
 

 © 2000 e.pokorny